Wieviel Dialyse brauchen wir - Status quo und Zukunft der Heimdialyse
20.04.2014
Berlin: IGES-Experten rufen zu einem sachlichen Diskurs und einem realistischen Blick auf den künftigen Versorgungsbedarf in der Dialyse auf. Zugleich weisen sie Kritik zurück, in einer eigenen Studie die Zahl der Betroffenen zu überschätzen.
„Unsere Modellierung beruht auf den derzeit besten epidemiologischen Daten zur Dialyse in Deutschland, die auf Meldedaten nahezu sämtlicher, bundesweit mehr als 1.000 Dialyseeinrichtungen basieren“, erläutert Hans-Holger Bleß, Leiter des Bereichs Versorgungsforschung am IGES Institut.
Die Zahl der dialysepflichtigen Menschen wird bis zum Jahr 2020 von derzeit 83.000 um ein Fünftel auf rund 100.000 steigen. Das entspricht einer jährlichen Zunahme von 2,7 Prozent. Zugleich wird dann altersbedingt bundesweit fast jeder zwölfte niedergelassene Nephrologe fehlen, weil Nachwuchs ausbleibt. Experten fordern daher dringend, die ambulante, nephrologische Versorgung zu stärken und häufiger Heimdialyse als Therapieoption zu nutzen. Dies ist das Fazit einer in Berlin vorgestellten Studie des IGES Instituts zur Zukunft der Dialyse.
Ermittelt haben die IGES-Experten den künftigen Dialysebedarf mittels statistischer Modellierung mit epidemiologischen Daten. Die ansteigenden Patientenzahlen um 20 Prozent bis 2020 haben dabei vor allem drei Ursachen: die weiter zunehmenden, gefäßschädigenden Volkskrankheiten wie Diabetes oder Bluthochdruck - die zu Nierenversagen führen können - sowie immer mehr jüngere Patienten und die Erfolge in der Nierenersatztherapie, was beides zu einer längeren Lebensphase mit Dialyse führt.
Bundesweit acht Prozent weniger Fachärzte
Erschwert wird die künftige Dialyseversorgung, weil der prognostizierte Rückgang ambulant tätiger Nephrologen deutschlandweit um acht Prozent regional sehr verschieden ausfallen wird. „Damit wir trotz des beträchtlichen Anstiegs an Dialysepatienten und zurückgehenden Facharztzahlen weiterhin eine flächendeckende, bedarfsgerechte Versorgung haben, muss das ambulante Dialyseangebot besser verteilt und vielfältiger werden“, sagt Hans-Holger Bleß, Leiter des Bereichs Versorgungsforschung am IGES Institut.
Nötig sei ein ganzer Maßnahmenkatalog: Mindestmengen an verschiedenen Dialyseverfahren im Rahmen der Qualitätssicherung, Einführung der bisher in der Facharztausbildung fehlenden Durchführung der Peritonealdialyse, bewusste Nachwuchsförderung der sehr kleinen Facharztgruppe der Nephrologen sowie optimalere Teamstrukturen in den Dialysepraxen mit einem stärkeren Einsatz und besserer Vergütung von Pflegekräften, um Dialysepatienten intensiver betreuen zu können.
Jeder dritte Dialysepatient könnte zu Hause dialysiert werden
Zu selten kommen derzeit Heimdialyseverfahren zum Einsatz, bei denen sich Betroffene zu Hause selbst dialysieren. Nur fünf Prozent der ständig dialysepflichtigen Patienten nutzen sie, obwohl diese laut Qualitätsvereinbarung die Methoden der Wahl sein sollten. 33 Prozent der Betroffenen könnten es hingegen sein, vorausgesetzt die verschiedenen Dialyseverfahren sind künftig landesweit optimaler verteilt und Patienten werden besser informiert. Dies ergab eine für die Studie erfolgte Expertenbefragung. „Der stärkere Einsatz der Heimdialyse trägt entscheidend dazu bei, den künftigen Versorgungsbedarf bei der künstlichen Blutwäsche zu decken“, sagt Bleß.
Vor allem die Peritonaldialyse, bei der Schadstoffe über das Bauchfell in eine Dialyselösung gelangen, ist als Heimverfahren besonders geeignet. Sie kommt jedoch selten zum Einsatz. 95 Prozent der Dialysepatienten werden mittels Hämodialyse behandelt. Dabei wird das Blut außerhalb des Körpers über synthetische Membranen gereinigt, was derzeit fast ausschließlich in Dialyseeinrichtungen geschieht.
Versorgungssteuerung durch mehr Patientenaufklärung
„Deutschland ist im Vergleich zu den internationalen Verteilungen stark auf die Hämodialyse in Dialysezentren ausgerichtet. Es fehlen häufig Wissen und Ausbildungsvorgaben zur Peritonealdialyse sowie zu Heimdialyseverfahren“, sagt Prof. Mark Dominik Alscher, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie. „Die gesundheitliche und individuelle Situation der Patienten sollten die Wahl des Dialyseverfahrens bestimmen und nicht die strukturellen, insbesondere räumlichen oder personellen, aber auch fachlichen Gegebenheiten ambulanter Angebote.“
„Betroffene benötigen ein möglichst frühzeitig einsetzendes und dauerhaftes Unterstützungsmanagement, um länger und besser mit der Dialyse zu leben“, fordert Peter Gilmer, Vorsitzender des Bundesverbandes Niere e.V. Diese Unterstützung helfe zudem, für jeden Patienten das passende Dialyseverfahren zu finden und käme auch denjenigen zugute, die die Vorteile der Heimdialyse nutzen wollen.“
„Informierte Patientenentscheidungen haben bereits in vielen anderen medizinischen Bereichen wirkungsvoll zur Angebotssteuerung beigetragen. Und sie beeinflussen den Erfolg einer Behandlung“, erläutert Prof. Bertram Häussler, Leiter des IGES Instituts. Dies sei vor allem für Dialysepatienten wichtig, die aufgrund ihrer lebensbedrohlichen Erkrankung massive Einschränkungen ihrer Lebensqualität haben.
Die Studie entstand im Auftrag des Medizintechnik- und Arzneimittelunternehmens Baxter Deutschland. Die Studie Status quo und Zukunft der Heimdialyse ist als Buch bei der Nomos Verlagsgesellschaft veröffentlicht
Bleß korrigiert damit Angaben des Verbandes Deutscher Nierenzentren (DN), wonach der in der IGES-Studie prognostizierte Prävalenzanstieg mit Abrechnungszahlen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) ermittelt wurde. „Wir haben bewusst nicht die Daten der KBV genutzt, da sich diese nur auf ambulant versorgte, gesetzlich Krankenversicherte beziehen. Einzelne Abrechnungsziffern werden zudem gar nicht bundeseinheitlich verwendet. Wer damit rechnet unterschätzt die Prävalenz von Dialyse in Deutschland erheblich.“
Optimale Rahmenbedingungen und Dialyseregister nötig
Das IGES Institut hat aktuell eine Studie über den künftigen Dialysebedarf veröffentlicht. Danach sind derzeit rund 83.000 Menschen von der Dialyse abhängig. Im Jahr 2020 werden es gut 100.000 sein, was einer jährlichen Zunahme von 2,7 Prozent entspricht. Zugleich ermittelten die Studienautoren einen bundesweiten, altersbedingten Rückgang ambulant tätiger Nephrologen um acht Prozent.
Vor diesem Hintergrund plädieren die IGES-Wissenschaftler, die ambulante nephrologische Versorgung finanziell und strukturell zu stärken und durch einen vermehrten Einsatz bisher kaum genutzter Heimdialyseverfahren vielfältiger zu gestalten. Bleß: „Im Sinne der Patienten brauchen wir für eine künftige bedarfsgerechte Dialyseversorgung optimale Rahmenbedingungen. Dazu gehören eine adäquate Vergütung, gezielte Nachwuchsförderung, eine optimale Infrastruktur verschiedener Dialyseangebote sowie insbesondere eine verbesserte Information und Beratung der Patienten bei der Wahl des Dialyseverfahrens.“
Bleß ruft zudem zu erneuten Anstrengungen auf, ein Register zu etablieren, um nicht nur die Entwicklung der Patientenzahlen kontinuierlich abzubilden, sondern auch die Dialyseversorgung besser analysieren zu können. (Pressemeldung vom 20.04.2014)

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