Designerblut aus Stammzellen
25.02.2022
Hannover: Bluttransfusionen gehören zu den häufigsten Eingriffen in Krankenhäusern. Nach Angaben des Deutschen Roten Kreuzes werden allein in Deutschland täglich rund 15.000 Blutspenden benötigt. Doch nur rund vier Prozent der möglichen Blutspender spenden auch tatsächlich Blut – Tendenz fallend. Gleichzeitig steigt der Bedarf an Blutprodukten, weil durch die immer älter werdende Bevölkerung die Zahl verfügbarer Spenderinnen und Spender weiter abnimmt, während die Altersgruppe der über 60-Jährigen gleichzeitig den höchsten Verbrauch an Blutprodukten hat.
Dieses Problem will ein Forschungsteam um Professor Dr. Rainer Blasczyk, Leiter des Instituts für Transfusionsmedizin und Transplant Engineering der Medizinischen Hochschule (MHH), lösen. Ziel ist, mit Hilfe molekularbiologischer Methoden speziell angepasste Blutzellen aus Stammzellen herzustellen und so Versorgungsengpässe zu beseitigen. Das Projekt „Hemoforce“ wird vom Bundesministerium der Verteidigung für zunächst vier Jahre mit mehr als drei Millionen Euro gefördert.
Bessere Verträglichkeit ohne Antigene
„In vielen Regionen der Welt sind Blutkonserven jetzt schon Mangelware“, sagt Professor Blasczyk. Zudem sei es nicht immer einfach, frische Blutkonserven dorthin zu transportieren, wo sie aktuell benötigt werden. Doch auch wenn es vorhanden ist, hat gespendetes Blut durchaus Nachteile. So sind bei einer Transfusion nicht nur die verschiedenen Blutgruppen zu berücksichtigen. Auch Gewebemerkmale, die sogenannten Humanen Leukozyten Antigene (HLA), spielen eine Rolle. Diese Moleküle auf der Oberfläche von Körperzellen sind vergleichbar mit den Blutgruppenantigenen auf den roten Blutkörperchen und unterscheiden sich individuell von Mensch zu Mensch. Bei einer Stammzelltransplantation müssen die HLA-Merkmale möglichst ähnlich sein, damit das Immunsystem des Empfängers die Spenderzellen nicht abstößt. Auch nach einer Transfusion können Thrombozyten, die nicht zueinander passende HLA-Proteine aufweisen, von Komponenten des Immunsystems des Empfängers erkannt und zerstört werden. Ein weiteres Problem bei konventionellen Blutkonserven sind mögliche Krankheitserreger, da Blut nicht auf alle Erreger untersucht werden kann und zudem alle Testverfahren eine Nachweisgrenze aufweisen.
Foto: Professorin Dr. Constanza Figueiredo und Professor Dr. Rainer Blasczyk mit Bioreaktoren zur Blutzellgewinnung in einem Labor des Instituts für Transfusionsmedizin und Transplantat Engineering Foto: MHH © Karin Kaiser
Unbegrenzte Produktion im Bioreaktor
„Die Nachteile herkömmlicher Blutspenden erfordern es dringend, das Modell und die Strukturen der Blutversorgung neu zu gestalten“, betont der Transfusionsmediziner. Seit etwa 30 Jahren arbeiten weltweit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bereits am „Blood Pharming“, also der künstlichen Herstellung von Blutprodukten. Eine Massenproduktion für die klinische Anwendung ist bislang jedoch noch nicht in Sicht.
Das MHH-Projekt konzentriert sich zunächst auf sogenannte Megakaryozyten. Die blutbildenden Zellen kommen vor allem im Knochenmark vor und entwickeln sich zu den für die Blutgerinnung wichtigen Blutplättchen, den Thrombozyten. Das Forschungsteam stellt sie in Zellkultur aus induzierten pluripotenten Stammzellen (IPSC) her. Das sind genetisch umprogrammierte Körperzellen, die ähnliche Eigenschaften wie embryonale Stammzellen haben, sich also in alle Gewebetypen entwickeln können. Diese Methode ebnet den Weg für eine unbegrenzte Produktion künstlicher Blutzellen im Bioreaktor.
Megakaryozyten-Zellen produzieren Blutplättchen im Mausmodell
„Wir gewinnen die iPSC aus reprogrammierten Zellen eines Menschen mit Blutgruppe Null, die als ideale Spendergruppe keine AB0-Antigene trägt und daher für alle Empfänger gleichermaßen passt“, erklärt Professorin Dr. Constanca Figueiredo, Leitende Wissenschaftlerin am Institut und stellvertretende Projektleiterin. Zudem hat die Wissenschaftlerin die iPSC gentechnisch verändert und dabei auch die HLA-Merkmale der Zellen abgeschaltet. Das Ergebnis ist eine Art Blaupause für „neutrale“ Megakaryozyten-Zellen, die vom Immunsystem des Empfängers nicht mehr als fremd erkannt werden und somit ungestört Blutplättchen produzieren können, ohne dass der Körper Antikörper gegen sie bildet.
Dass der Ansatz funktioniert, hat das Forschungsteam bereits im Mausmodell nachgewiesen. „Bereits eine Stunde nach der Transfusion haben die Megakaryozyten-Zellen begonnen, sehr nachhaltig Thrombozyten zu bilden“, sagt Professorin Figueiredo. Das sollte beim Menschen ebenso gelingen, ist die Wissenschaftlerin überzeugt. „Ein lebender Körper ist immer der beste Bioreaktor.“ Die Gefahr, dass die Spenderzellen entarten und Tumore entstehen, besteht nicht. „Die Megakaryozyten-Zellen werden vor der Transfusion bestrahlt und können sich daher nicht mehr teilen, sondern nur noch Thrombozyten produzieren“, erläutert Professor Blasczyk. Die Blutplättchen selbst haben ohnehin keinen Zellkern, können sich also von Natur aus nicht eigenständig vermehren.
Probleme der Lagerung beheben
Ein weiterer Aspekt ist die Lagerung der Blutzellen. Bislang werden Blutkonserven und Zellprodukte in flüssigem Stickstoff tiefgefroren, um sie länger haltbar zu machen. Damit die Zellen das überstehen, wird den Blutkonserven unter anderem Glycerin beigemischt, das vor der Transfusion wieder entfernt werden muss. Zusammen mit Professor Dr. Willem Wolkers vom Niedersächsischen Zentrum für Biomedizintechnik, Implantatforschung und Entwicklung (NIFE) sollen neue Kryotechniken entwickelt werden.
„Wir wollen Kryoprotektiva ohne giftige Nebenwirkungen finden, die das aufwendige Reinigen überflüssig machen und zudem eine Lagerung bei höheren Temperaturen erlauben“, sagt Professor Blasczyk. In der zweiten Förderphase will das Forschungsteam in die Massenproduktion der künstlichen Blutzellen einsteigen und erste klinische Studien am Menschen durchführen.

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